Vom Kampf des Menschen gegen die Krankheit Resistente Keime konfrontieren die Medizin mit der Notwendigkeit alternativer Wirkstoffe. Organisationsversagen und Kommunikationsprobleme als Ursache der Entstehung multiresistenter
Vortragsabend mit anschließender Podiumsdiskussion
Zeit: 20.10.2009, 18:00-20:30 Uhr
Ort: Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Altes AKH, Seminarraum „Alte Kapelle“
Moderation und Organisation: Ao. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Strejcek, Institut für Staats- und
Einstimmung Univ.-Prof. Dr. Konstanze Fliedl, Schnitzlerexpertin und Professorin für Neuere Deutsche Literatur an
der Universität Wien, eröffnet an Hand Arthur Schnitzlers erster Novelle „Sterben“ historische
Perspektiven zum Umgang der Medizin mit der Schwindsucht. TBC war in der Literatur des 19.
Jahrhunderts zum Inbegriff der ästhetischen Krankheit avanciert. Anämisch kränkliche Frauentypen
(„femme fragile“) leisteten dem dekadenten Seelenkult der Jungwiener Vorschub. Seinerseits Arzt und
Schriftsteller, verdingte sich Schnitzler zeitweise als Mitherausgeber medizinischer Fachzeitschriften,
die er im Auftrag seines Vaters, dem Laryngologen Johannes Schnitzler, redigierte. Nicht nur in der
praktizierten Hypochondrie glich Schnitzler seinem Zeitgenossen Sigmund Freud. Er bereitete mit der
Analyse innerer Seelenvorgänge seiner Figuren die psychologischen Themen der Zeit literarisch auf.
Während es die Schriftsteller einfach gehabt hätten, wie Univ.-Prof. Dr. Konstanze Fliedl betont, da
ihnen die Protagonisten nicht tatsächlich wegstürben, hat die Medizin hart an der Bekämpfung von
Infektionskrankheiten wie der TBC gearbeitet.
OA Dr. Wechsler-Fördös, Hygiene- und Antibiotikabeauftragte der Krankenanstalt Rudolfstiftung,
greift jene Phase der historischen Entwicklungen in der Medizin auf und präsentiert mit der
Entdeckung des Penicillins als Produkt des Schimmelpilzes Penicillium notatum durch Alexander
Fleming (1928) die massiven Erfolge, die nach dem 2. Weltkrieg gegen bakterielle Infektionen erzielt
worden waren. Die vergangenen 20 Jahre sind jedoch von einem wiederholten Anstieg tödlich
verlaufender Infektionskrankheiten geprägt (va Pneumokokken, Meningokokken und Sepsis-Fälle).
Bisher häufig verschriebene und effektiv eingesetzte Antibiotika wie zB jene aus der Familie der
Chinolone (Wirkstoff Ciprofloxacin) könnten in Hinkunft selbst bei simplen Infektionen (wie in etwa
im Harnwegsbereich durch zunehmend resistente Colibakterien verursacht) nur mehr begrenzt wirken.
Zum einen ist für diese Entwicklung die unüberlegt schnelle Verabreichung von Antibiotika
verantwortlich: Ärzte sollten vorab abklären, ob es sich bei einer Infektion um eine bakteriell oder
viral verursachte handelt, da im letzteren Fall keine Antibiotika wirksam sind. Zum anderen
veranlasste ein maßloser Umgang mit Antibiotika in der Tierzucht (zB zur Dezimierung der
Salmonellen in den Hühnerfarmen) und der Bekämpfung von bakteriellem Befall in der Pflanzenwelt
(zB Verwendung von Streptomycin gegen Feuerbrand) Resistenzen seitens des Erregers und
Kreuzeffekte bei anderen Keimen. Darüber hinaus zeichnet sich der Keimtourismus als zunehmendes
Gefahrenpotential aus. Antibiotika-resistente Krankheitserreger, die in beliebten Urlaubsländern wie
Griechenland oder der Türkei erstmals auftauchten, konnten einige Zeit später in den
Ursprungsländern der Reisenden eruiert werden.
Wirkstoffe, die während der regen Entwicklungsphase der Forschung in den 60-er-Jahren entdeckt
wurden, sind bis heute in Verwendung, oft aber nur mehr sehr begrenzt effektiv. In der jüngeren
Vergangenheit wurden kaum neue Antibiotika erforscht, was die Medizin vor ein großes Problem
stellt. Im Notfall kommen nicht zugelassene Antibiotika mit starken Nebenwirkungen zur
Podiumsdiskussion
OA. Dr. Wechsler-Fördös plädiert in der anschließenden Podiumsdiskussion für eine bewusstere
Pflege von Antibiotikalisten, die eine zentrale „Überwachung“ der medikamentösen Therapie in den
Spitälern gewährleisten soll. Dabei wird insbesondere auf die Verschreibung von notwendigen und
wirksamen Antibiotika geachtet. Nicht ganz im Einklang mit dieser fachlich begründeten Maßnahme
stehen der Erstattungskodex und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG), die sich eher
nach finanziellen Richtlinien orientieren. OA Dr. Wechsler-Fördös ortet auch ein grundlegendes
Problem bei der mangelnden Akzeptanz der Weisungen von oben, wie es bei der Antibiotika-
Verschreibung idealerweise der Fall sein sollte. Dazu gesellt sich das Interesse der Pharmaindustrie,
das bei teuer entwickelten Produkten auf eine möglichst langjährige Profitfähigkeit abzielt und
dahingehend Marketing betreibt. Die Verschreibpraxis der Ärzte folgt also nicht mehr sachlichen
Kriterien wie auch Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Vorstand der Neurologie an der Universitätsklinik,
Meduni Wien betont. Deshalb werden Pharmareferenten zum Teil nur sehr begrenzt in den Spitälern
zugelassen. Es dürfe aber nicht vergessen werden, dass fast ausschließlich Pharmakonzerne Ärzte-
Fortbildungen finanzierten und nur mit staatlicher Hilfe der Weg aus der Abhängigkeit zu schaffen sei.
Univ.-Prof. Dr. Auff weist darauf hin, dass lebenslanges Lernen zu den grundlegenden Aufgaben der
Ärzte zählen sollte, um eben solchen Entwicklungen wie der der Resistenzen effizient begegnen zu
können. Der Zeitfaktor sollte in diesem Zusammenhang und auch der Patientenbetreuung nicht
Der Generaldirektor Stellvertreter der WGKK, Mag. Jan Pazourek, beleuchtet die Diskussion
hauptsächlich von der Kostenseite her. Er weist darauf hin, dass medizinische Vorgehensweisen
gezielter und kostenstraffer gehalten werden könnten. Als Paradebeispiel dient ihm der Fall einer
älteren Dame, der für eine routinemäßige Augenoperation zweimalig ein HIV-Test abverlangt wird.
Dr. Kurt Blaas, niedergelassener Allgemeinmediziner, entgegnet daraufhin, dass es jungen Leuten
paradoxerweise nicht möglich sei, auf Kosten der Krankenkasse einen HIV-Test zu machen und sie
oftmals deshalb darauf verzichteten. Eben ein solches Problem stellt sich mit der Untersuchung, die
festlegen soll ob ein viraler oder bakterieller Infekt vorliegt und ob eine Antibiotika-Therapie sinnvoll
sein kann: Sie kostet 35 € und wird aus diesem Grund viel zu selten durchgeführt.
Kontrollamtsdirektor Dr. Erich Hechtner konstatiert dazu eindeutig Organisationsversagen.
Dr. Jean Paul Klein, Experte für HIV, TBC und Impfwesen im BMG, Sektion III, thematisiert die
Problematiken, mit denen er in seiner Position betraut ist und betont, dass die Anzahl neuer HIV- und
TBC- Infektionen pro Jahr nicht dramatisch aber dennoch besorgniserregend sei, da keine langfristige
Unterdrückung der Krankheiten in Sicht ist, obwohl die Medizin teilweise wirksame Therapien
Univ.-Prof. Dr. Bernhard Schwarz, ua Leiter des Public Health Zentrums, Meduni Wien,schließt mit
einem Appell an die gesellschaftliche Bereitschaft zur präventiven Vorsorge gegen Krankheiten wie
die Grippe. Die aktuell thematisierte „Schweinegrippe“ trat bereits in den 1970-er-Jahren auf und
Baxter hatte damals schon einen wirksamen Impfstoff gegen H1N1 bereitgestellt. Die
Durchimpfungsrate sei gerade in diesem Bereich (im Gegensatz zur FSME-Zeckenimpfung) sehr
gering, könnte aber unter Umständen eine Umschiffung des Engpasses an medikamentösen
Behandlungsmethoden bei Ausbruch der Krankheit sein.
Unter Mitarbeit von Mag. Angelika Frühwirth
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