Microsoft word - brief-antwort-tagespauschale-jan-feb-2006.doc
Berliner Büro
Lothar Binding, MdB * Platz der Republik 1 * 11011 Berlin
Bürgerbüro Heidelberg/Weinheim
Politik für Patienten, für Ärzte, für alle Tagestherapiekosten im Entwurf des Arzneimittelversorgung - Wirtschaftlichkeitsgesetzes
Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren,
vielen Dank für Ihren Brief zum Entwurf des Arzneimittelversorgung – Wirtschaftlichkeits-gesetzes. Meine Betonung liegt auf Entwurf. Auch für die neue Regierung ist die Dämpfung der Arzneimittelkosten eine der wichtigsten und dringendsten Aufgaben in der Gesundheitspolitik. Jedem Arzt, der Medikamente verordnet, kommt hier eine verantwortungsvolle Aufgabe zu. Er entscheidet, ob ein hochpreisiges oder kostengünstiges Präparat in der Apotheke verkauft wird. Nun ist keine Arztpraxis wie die andere und jeder Tag in jeder dieser Praxen unterscheidet sich vom vorhergehenden. Patienten haben unterschiedliche Krankheiten und benötigen aufgrund ihrer persönlichen Gesamtverfassung andere Wirkstoffe zur Behandlung. Ein Kostendämpfungsprogramm, das ein bestimmtes Budget festlegt, das ein Arzt pro Tag oder pro Patient nicht überschreiten darf, wäre daher unverantwortlich, unmöglich. Dies ist auch in keiner Weise politisch diskutiert oder beabsichtigt. Gleichwohl hat der Arzt aber häufig die Wahl zwischen mehreren für die konkrete Situation gleichwertigen Produkten. Hier möchte man erwirken, dass ein Arzt im Durchschnitt auf kostengünstige Verordnung achtet. Medikamente sind aufgrund von Packungsgröße, Wirkstoffkombination und Darreichungsform auf den ersten Blick schwer zu vergleichen; ein einfaches "Runterrechnen" auf einen Preis pro Tablette oder ähnliches greift zu kurz. Als Instrument, die Preise von Medikationen zu vergleichen, wurde daher international die daily defined dose auch DDD oder in deutscher Bezeichnung Tagestherapiekosten genannt, entwickelt.
Darunter ist eine rechnerische Größe zu verstehen, die nicht mit einer therapeutisch, empfohlenen oder verschriebenen Dosis verwechselt werden darf. Diese Größe ist nur für Zwecke der Arzneimittelverbrauchsforschung entwickelt. Bedeutsam wird die DDD dadurch, dass damit durch Berücksichtigung von Produkteigenschaften des verordneten Wirkstoffes eine tagesbezogene theoretische Einnahmedauer (TED) eines Medikaments errechnet werden kann. Es ergibt sich damit die Anzahl der Tage, an denen ein Patient durch das verordnete Arzneimittel behandelt werden kann. Sie ist somit eine statistisch ermittelte Durchschnittsmenge und hat nichts mit der im konkreten Fall für einen bestimmten Patienten angezeigten Menge zu tun. Mit ihrer Hilfe können aber Preise von Medikamenten verglichen werden. Hier wird für jedes Produkt der Hauptwirkstoff ermittelt und der Preis für die zugehörige DDD errechnet. Beispiel: Produkt A enthält die Wirkstoffe X, Y und Z, wobei X der Hauptwirkstoff ist. Produkt B enthält Wirkstoff X und L, wobei ebenfalls X der Hauptwirkstoff ist. Beide Produkte können für Krankheit N und M verordnet werden. Im konkreten Fall hat der Patient Krankheit N. Die DDD von Wirkstoff X für Krankheit N beträgt 45 mg. Die hypothetischen Zahlen sind nun wie folgt:
Man sieht also, dass Produkt A preisgünstiger für Krankheit N ist, auch wenn es auf den ersten Blick teurer erscheint. Nun wird es sicher immer mal wieder konkrete Gründe geben, die für Produkt B statt A sprechen, oft auch, weil Patienten Erfahrungen mit "ihrem" Medikament haben. Es soll dabei gleichwohl erreicht werden, dass der Arzt im Mittel Medikamente so verordnet, dass der Durchschnittpreis der DDD der von ihm verschriebenen Arzneimittel einen festgelegten Durchschnitt nicht überschreitet. Dem Arzt kann natürlich nicht zugemutet werden, vor jeder Ausstellung eines Rezeptes umfangreiche Berechnungen anzustellen. Hierzu müssen dann entsprechende Komponenten in die Praxisverwaltungsprogramme integriert werden, die dem Arzt die Konsequenzen einer konkreten Verordnung und den Stand seiner Verordnung pro Quartal insgesamt anzeigen.
Zusammenfassend stelle ich für die Praxis fest:
• Es geht nicht darum, dem Arzt vorzuschreiben, wie viel er pro Tag oder einem
• Es geht nicht darum, ihm vorzuschreiben, welches Präparat in einem konkreten Fall
• Es geht aber darum, dass er insgesamt die Kosten der von ihm verschriebenen
Arzneimittel im Auge behält und den Durchschnittpreis pro DDD einhält.
• der Arzt kann jeden Patienten z.B. mit Statinen behandeln, der diese benötigt, weil nur
die Durchschnittskosten für die tatsächlich verordneten Arzneimittel berücksichtigt werden.
• der Arzt kann das Arzneimittel auch problemlos höher dosieren und öfter verordnen,
weil nur die Durchschnittskosten seiner Verordnung berücksichtigt werden.
• der Arzt kann auch teurere Tabletten verordnen, solange er im Durchschnitt eines
Jahres unterhalb der angestrebten Zielmarke bleibt.
• Die Überprüfung der Einhaltung kann direkt bei der Verordnung erfolgen, wenn die
Praxissoftware die Kosten pro DDD ausweist.
• Eine aktuelle Übersicht über die Einhaltung der Zielmarken kann ebenfalls über die
Praxissoftware erfolgen, die Berechnung der Kosten pro DDD erfolgt nach einem einfachen Dreisatz.
• Die Kontrolle durch die Prüfausschüsse erfolgt quartalsweise.
Mit freundlichen Grüßen Lothar Binding
P.S.: Nachstehend gebe ich Ihnen vertiefende Informationen zu gegenwärtig diskutierten Formulierungen im Referentenentwurf. Bitte nehmen Sie diese Betrachtung als einen kleinen Ausschnitt aus einer sicher notwendigen Gesamtbetrachtung. Dieser Text ist entstanden weil Bürgerinnen und Bürger, Ärzte und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Sorge hatten das geplante Gesetz solle etwa zu folgender Situation führen, die einer meiner vielen Korrespondenzpartner wie folgt formuliert: Weiterhin ist das Arzneimittelbudget als Tagesbudget geplant. Stelle mir gerade folgende Situation vor: Komme mit 40° Fieber und akuter Influenza zum Arzt, vor mir wird ein Patient mit MS (Multipler Sklerose) behandelt und bekommt sein Quartalsrezept (hier kommen leicht mal mehrere 100 € zusammen). Ich werde zum Arzt gerufen, der mir dann mitteilen muss: „Ja Sie sind schwer krank und bräuchten unbedingt einen Neuraminidasehemmer (um hier keinen Handelsnamen zu nennen). Tja das tut mir jetzt wirklich Leid, ich kann Ihnen aber heute nichts mehr verordnen, da mein Budget für heute schon verbraucht ist, vielleicht versuchen Sie es mal bei den Pharmareferenten im Wartezimmer, die haben immer so schöne Ärztemuster dabei, vielleicht hat ja jemand was gegen Influenza für Sie! Oder Sie kommen morgen ganz früh wieder und stellen sich mit in die Schlange der Patienten, denen es geht wie Ihnen und hoffen, dass für Sie etwas übrig bleibt. Oder Sie zahlen die ca. 35 € gerade aus der eigenen Tasche, sicher sinnvoll, weil Influenza jährlich mehr als 10.000 Todesopfer fordert.“ Soll es zukünftig wirklich so in deutschen Arztpraxen aussehen? Wäre ich Arzt, würde ich sicher auch streiken oder mich ernsthaft mit Auswanderungsgedanken befassen! Eine völlig falsche Interpretation mit großem Verbreitungsgrad… Noch eine Skizze zur Erläuterung, an wen wir in der Politik mindestens zu denken haben, wenn wir über das Gesundheitssystem sprechen. 260 Milliarden Nun zur Erläuterung des Konzepts: Tagestherapiekosten auf der Basis von definierten Tagesdosen Im Folgenden soll beispielhaft für die Arzneistoffgruppe der Statine (Cholesterinsenker) dargestellt werden, wie die im Entwurf des Arzneimittelversorgung- Wirtschaftlichkeitsgesetzes, kurz dem AVWG, vorgeschlagene Therapiekostenkontrolle prinzipiell funktionieren kann. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass die Selbstverwaltung in Verträgen nach § 84 Absatz 1 SGB V Zielvereinbarungen zu Tagestherapiekosten für verordnungsstarke Anwendungsgebiete vereinbart. Diese verordnungsstarken Anwendungsgebiete können sich beispielsweise aus der Analyse der Arzneimittelverordnungsdaten einer kassenärztlichen Vereinigung oder des gesamten Bundesgebietes ergeben. Einen Eindruck von verordnungsstarken Gruppen im Bundesgebiet vermitteln die Zahlen des aktuellen Arzneiverordnungsreports.
Arzneimittelgruppe Umsatz 2004 in Euro
Blutdruckmittel) ACE-Hemmer (Herz-Blutdruckmittel)
In jeder dieser Wirkstoffgruppen sind jeweils gleichartig wirksame Wirkstoffe zusammengefasst. Nun kommen die definierten Tagesdosen ins Spiel. Es geht hierbei darum, die Preise der Arzneimittel miteinander zu vergleichen. Eine m.E. wichtige Verbesserung der Transparenz in einem verwirrenden System von Preisen, Wirkstoffmengen, und Anbietern – Apotheken, Großhandel und Industrie. Transparenz und Vergleichbarkeit ist nur möglich als Vergleich der Preise bzw. Kosten je Dosiseinheit (z.B. Tablette, Kapsel usw.). Die Dosiseinheiten können jeweils unterschiedliche Mengen an Wirkstoff enthalten. Deshalb ist es notwendig, eine durchschnittliche Wirkstoffmenge je Dosiseinheit zu bestimmen. Dies ist diejenige Wirkstoffmenge, die im Durchschnitt über alle Patienten bei Anwendung in der Haupt- bzw. Leitindikation des Arzneimittels in der Dauertherapie – Erhaltungsdosis – erforderlich ist. Pro Wirkstoff und Tablette wird somit nur eine Wirkstoffmenge für eine Leitindikation bestimmt. Patientenindividuelle Unterschiede in der Dosierung spielen ebenso wenig eine Rolle, wie abweichende Dosierungen in weiteren Indikationen von Wirkstoffen. Denn hier geht es ausschließlich um die Preisunterschiede zwischen den Herstellern je Tablette mit normiertem Wirkstoffgehalt und nicht um Unterschiede in der Therapie oder der Morbidität der Patienten einer Arztpraxis. Solche Morbiditätsunterschiede werden dem Arzt beim Modell der definierten Tagesdosen nicht angerechnet. Denken wir an ein konkretes Beispiel: Für Simvastatin, einen Cholesterinsenker aus der Gruppe der Statine beträgt die definierte Wirkstoffmenge je Tablette und Tag, also die Tagesdosis (DDD) 15 mg. Die DDD-Normpille Simvastatin enthält also 15 mg Wirkstoff. Die DDD der anderen Statine und die ungefähren Preisspannen je DDD sind in der Tabelle
aufgeführt (ohne Berücksichtigung der Packungsgrößen).
Wirkstoff "Norm-Tablette" mit der Wirkstoff- Kostenspanne je "Norm- menge für eine Tagesdosis als DDD Tablette" bzw. DDD
*berechnet auf Basis des Festbetrags Nach der aktuellen Lauer-Taxe (Deutsche Arzneimittelpreis-Datenbank) gibt es bei den Simvastatin eine Spannbreite für die Preise einer „Norm-Tablette“ zwischen 0,23 Euro und 1,28 Euro. Ist das nicht verwunderlich in einem Markt, in dem alle für sich reklamieren daran mitzuwirken, die Kosten zu minimieren und der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Einnahmeseite in diesem Markt in weiten Teilen durch Abgaben der Arbeitnehmen und Arbeitgeber gesetzlich gesichert wird. Für die anderen Wirkstoffe bestehen ebenfalls entsprechende Preisspannen pro verordneter DDD bzw. „Norm-Tablette“. Nach dem Modell der Tagestherapiekosten vereinbart die Selbstverwaltung eine Zielvorgabe, wie viel eine Tablette mit normierter Wirkstoffmenge durchschnittlich kosten soll. Aufgabe der Selbst(!)verwaltung ist es dabei, die Zielvorgabe für die Durchschnittskosten einer "Norm-Tablette" so festzulegen, dass ein bestimmtes Einsparpotential generiert werden kann. Dazu können auch Durchschnittswerte für ganze Wirkstoffgruppen zusammengefasst werden. Als Anhaltspunkt können z.B. die Verordnungsdaten des Vorjahres herangezogen werden und z.B. eine Absenkung um einen definierten Prozentsatz vereinbart werden. Aufgabe des Arztes ist es dann, bei der Verordnung der Statine darauf zu achten, diejenigen Präparate auszuwählen, die diesen Grenzwert pro DDD, also der „Norm-Tablette“, im Durchschnitt nicht überschreiten. Dass ein solches Vorgehen jene Anbieter in den oberen Preissegmenten nicht erfreut ist verständlich.
Beispiel: simvastatin 1a pharma, 20mg, 100 Stück,
=> Kosten pro DDD = 0,31 Euro
Zocor MSD (Simvastatin), 20mg, 100 Stück,
Kosten pro DDD = 0,63 Euro
Hier ist schnell zu erkennen, gleichwohl bisher nicht plausibel erklärt, warum Preisunterschiede von über 100% anzutreffen sind – zu erkennen erst in einem normierten System. Deshalb halte ich es für geboten über ein System der Tagestherapiekosten – sogar vom Arzt direkt steuerbar – nachzudenken.
Insgesamt ist dies ein neues Konzept zur gezielten Ausgabensteuerung durch den Arzt. Die Neuregelung bedeutet in der Kurzfassung:
Die Therapiefreiheit wird in vollem Umfang gewahrt
Tagestherapiekosten sind vom Arzt direkt steuerbar
Der Arzt hat kein Morbiditätsrisiko. Höhere Dosierungen, z.B. bei schwereren
Erkrankungen, werden dem Arzt nicht angelastet
Es gibt keine Anreize für eine Unterversorgung
Die Regelung begünstigt Ärzte, die preisbewusst verordnen
Die Neuregelung reduziert das Regressrisiko für den Arzt
Tagestherapiekosten sind für den Arzt leichter steuerbar als Richtgrößen
Die externe Kontrolle der Tagestherapiekosten erfolgt zeitnah für jedes Quartal
Ich möchte es hier bei der Nennung dieser wenigen Beispiele belassen, die zeigen, dass auch mangelnde Kenntnis der tatsächlichen Umstände Ursache für ein negativ kritisches Urteil sind. Ich hoffe sehr, dass Sie sich meiner Darstellung anschließen und mit konstruktiven Vorschlägen und dem Blick auf das Gesundheitssystem und mit all seinen Akteuren unser für die gesamte Gesellschaft zu verbessern helfen. Auf bezahlbarer Basis. Die Würde des Menschen im Mittelpunkt. Schließlich möchte ich nach diesen Ausführungen zum Sachverhalt nochmals darauf hinweisen, dass Sie sich mit Ihrer Äußerung auf einen Gesetzesentwurf(!) beziehen. Dem endgültigen Ergebnis – nach der parlamentarischen Beratung – möchte ich mit dieser Antwort nicht vorgreifen.
Nom patronymique : Prénom : Date et lieu de naissance : Né le 03 décembre 1973 à Epernay (51) Maître de Conférences en Neuropsychologie de l’enfant et de l’adulte depuis le 01 septembre 2010 à l’Université de Reims Champagne-Ardenne . Membre titulaire du Laboratoire CLEA : Cognition, Langage, Emotion, Acquisitions, EA 4296. ACTIVITES DE RECHERCHE ET P