Unter den Wolken kann die Freiheit nicht grenzenlos sein
Bern, 30.05.2006 (GS-UVEK) - Bundespräsident Moritz Leuenberger zum 1. Schweizerischen Luftfahrtkongress vom 30. Mai 2006 am Flughafen Zürich 1. Grenzen der Luftfahrt
In der langen Geschichte der Menschen blieb das Fliegen bis vor kurzem den Göttern vorbehalten, die ihre Allmacht hoch über den Wolken auslebten. Für die Menschen blieb Fliegen ein Traum, der Traum der unbeschränkten Freiheit.
Doch der Mensch schuf sich Hilfsmittel, mit denen er sich den Fähigkeiten der Götter näherte. So wie sich Athene in eine Schwalbe verwandeln konnte, um unerkannt in der Nähe von Odysseus zu sein, so können sich heute die Menschen in eine Wanze verwandeln und andere abhören. So wie Zeus sich damals als uralter Gott in einen jugendlichen Liebhaber verwandeln konnte, so können das heutige Greise dank Viagra ebenfalls. Und so wie damals praktisch alle Götter fliegen konnten, können das die Menschen dank dem Flugzeug auch. Sigmund Freud nannte all diese Hilfsmittel Prothesen, also künstlich geschaffene Körperteile, mit denen sich der Mensch zum „Prothesengott“ machte und sich so der unbeschränkten Freiheit zu nähern vermochte, welche er den Göttern zuschrieb.
Mit dem Flugzeug gelang es ihm, Grenzen zu überwinden, die ihm die Schwerkraft, die Meere, Gebirge und Kontinente setzten. Doch schrankenlos ist die Freiheit des Fliegens dennoch nie geworden. Denn so, wie sich damals die Götter trotz ihrer übermenschlichen Fähigkeiten stritten und gegen einander intrigierten, einfach auf einem höheren Niveau, nämlich im Olymp über den Wolken, so bleibt heute die erreichte Freiheit beschränkt, und zwar weil andere Menschen sie beschränken.
Es gilt, einen weit anspruchsvolleren Traum zu verwirklichen, als den des Fliegens, nämlich den der gegenseitig gewährten Freiheit.
Damit die Menschen sich in jeder Beziehung frei entfalten können, also auch wirtschaftlich verwirklichen können, fordern sie die Freiheit, mit anderen Menschen und Ländern möglichst eng verbunden zu sein. Dem dient der Luftverkehr rund um den Globus. Grenzen, welche diesem Anliegen im Wege stehen, sollen überwunden oder aufgehoben werden. Unsere Wirtschaft ist, so sagte sie es auch heute Morgen, auf eine leistungsfähige Luftfahrt angewiesen.
Die Freiheit über den Wolken kann es nicht geben, ohne dass Staaten, Flughäfen und Fluggesellschaften grenzüberschreitende Absprachen und Vereinheitlichungen treffen. Nur weil weltweit Einigkeit darüber besteht, welche Sprache Piloten und Fluglotsen miteinander sprechen, was die verwendeten Ausdrücke bedeuten und welche Standards beim Starten und Landen verwendet werden, können chinesische Piloten in Zürich ebenso landen wie in Sao Paolo. Sprachliche Missverständnisse in der Fliegerei haben die schlimmeren Folgen als beim Bau des Turms zu Babel, wo einfach nicht mehr weiter gebaut werden konnte.
Trotz all dieser Vereinheitlichungen, trotz der globalisierten Luftfahrt gibt es über und unter den Wolken noch immer Grenzen. Es sind dies
z die Grenzen welche im Interesse des Funktionierens der Luftfahrt erstellt worden sind, Verkehrsregeln und
z die Grenzen der politischen Akzeptanz, und es sind nach wie vor z die Landesgrenzen.
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2. Wie stellen wir uns zu diesen Grenzen?
Wie geht die Luftfahrt mit diesen Grenzen um? Müssen sie einfach akzeptiert werden, soll man versuchen, sie zu verändern oder zu überwinden? Welche Rolle kommt dabei der Luftfahrtbranche zu und welche der Politik?
2. 1. Sicherheit
Niemand bestreitet die oberste Maxime der Sicherheit. Und doch werden Sicherheitsmassnahmen oft als Schikane empfunden. Bis vor kurzem war es nicht einmal möglich, sich in Europa darauf zu einigen, welche Fluggesellschaften aus Sicherheitsgründen verboten werden und wie das der Öffentlichkeit kommuniziert werden soll.
Zu Zeiten von Monopolen und Preiskontrollen konnte sich der Bund darauf verlassen, dass die finanzstarke und sicherheitsbedachte Swissair die bestmögliche Sicherheit für ihre Passagiere gewährleistete.
Heute ist das anders geworden: Die Liberalisierung des Luftverkehrs, der Wettbewerbsdruck und der Preiszerfall stellen neue Anforderungen an den Staat. In der Aufsicht über die Zivilluftfahrt brauchte es einen Paradigmenwechsel, um trotz Wettbewerb einen hohen Sicherheitsstandard zu gewährleisten. Die vier Unfälle in der Schweizer Luftfahrt zeigten, dass dieser Wechsel auch bei uns bitter nötig war. Es wurden die Konsequenzen gezogen und die Sicherheitsaufsicht neu strukturiert. Das ging nur mit einer Reorganisation und einer Personalaufstockung beim BAZL, also mit einem Ausbau staatlicher Tätigkeit. Mit dem Grundsatz „Sicherheit ist oberstes Gebot“, sind immer alle einverstanden. Wenn es aber an die Umsetzung geht, wenn mehr Sicherheit auch mehr kostet, wenn die Aufsichtsbehörde unbequeme Forderungen stellt, dann kommt der Widerspruch und die Kritik am überzogenen Sicherheitsdenken und an den lästigen Kontrollen.
z Solche Kritik erfolgte an der kürzlichen Weigerung des BAZL, das Kontrollzentrum für den oberen östlichen
Luftraum nach Genf zu verlegen, wie skyguide es geplant hatte.
z Seit dem grounding der Swissair schaut das BAZL genauer hin, ob Fluggesellschaften wirtschaftlich
leistungsfähig sind. Auch das dient letztlich der Sicherheit der Passagiere und stösst dennoch nicht bei allen betroffenen Unternehmen auf grosse Gegenliebe.
Der Staat bleibt für die Sicherheit letztlich verantwortlich und daher gilt in dieser Frage das Primat der Politik. Das ist mit einer Verantwortung verbunden, welche die Abwägung von Wirtschaftlichkeit und Sicherheit erfordert. Wir haben diese Abwägung für das Anflugverfahren in Lugano - Agno vorgenommen und einen Ausgleich gefunden. Dasselbe müssen wir auch bei anderen Interessenkonflikten tun - im Dialog mit der Luftfahrtindustrie.
2.2. Politische Akzeptanz
Die Luftfahrt ist von grosser sozialer und wirtschaftlicher Bedeutung. Wie jede soziale und wirtschaftliche Tätigkeit ist sie aktiv und passiv eingebunden im Spannungsfeld der politischen Kräfte. Je besser sie sich dessen bewusst ist, desto besser gelingt es ihr, die eigenen Interessen optimal zu verwirklichen.
Wie so manche Region fühlt sich in der Schweiz benachteiligt und beklagt sich darob! Wie so mancher wirtschaftliche Zweig fühlt sich benachteiligt und beklagt sich darob, die Landwirtschaft, die Gastronomie, die Hoteliers, die Lastwagentransporteure, ja, selbst „Die Wirtschaft“ fühlt sich benachteiligt! Und bei diesen Klagegesängen einzelner Wirtschaftszweige macht die Luftfahrt keine Ausnahme: Kürzlich sagte mir ein VR-Präsident einer grossen ausländischen Fluggesellschaft: Für unseren Verkehrsminister zählt ja nur die Bahn, für denLuftverkehr tut er gar nichts. Ich weiss: die Vertreter unserer schweizerischen Luftfahrt würden nie so etwas vom schweizerischen Verkehrsminister sagen.
Zu Recht, denn sie sind dem Bund dankbar. Er hat die wirtschaftliche Bedeutung guter Luftverkehrsverbindungen für die Schweiz immer anerkannt - zuletzt im luftfahrtpolitischen Bericht von 2004. Er hat auch viel für die Luftfahrt getan, angefangen von der Unterstützung beim Bau der Flughäfen, über die Gründung einer nationalen Fluggesellschaft, die Aushandlung von möglichst liberalen Luftverkehrsabkommen mit gut 120 Staaten. Der Bund hat erreicht, dass die Schweiz an der europäischen Sicherheitsagentur EASA und am Single European Sky teilnimmt - für ein Land das nicht Mitglied der EU ist, keine Selbstverständlichkeit. Der Bund hat sich an der Gründung der Swiss finanziell massiv beteiligt und er setzt sich seit Jahren intensiv für die Lösung des Problems
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Wir wissen alle um die wirtschaftliche Bedeutung der Luftfahrt. Der Luftverkehr ist für unser Export- und Tourismusland ein wichtiger Standortfaktor. Er sorgt insgesamt für 160'000 Arbeitsplätze. Das entbindet die Luftfahrt nicht davon, sich der Politik zu stellen. Politik, das heisst bei uns in der Schweiz speziell die direkte Demokratie. Von ihr ist auch die Luftfahrt abhängig. Im Gegensatz zu anderen Infrastrukturvorhaben ist die Abhängigkeit sogar sehr viel direkter: Dadurch, dass die Flughäfen trotz nationaler Bedeutung in kantonaler Hoheit stehen, stellt sich kein Interessenausgleich ein wie etwa bei der Abstimmung über die NEAT. Die unmittelbar betroffene Bevölkerung bestimmt über „ihren“ Flughafen.
Und doch: Dass die Zürcher immerhin fünf Ausbauetappen ohne St. Floriansdenken und meist mit Volksabstimmungen gut geheissen haben, ist da nicht selbstverständlich.
Dieses Vertrauen, auf dem eine direkte Demokratie aufbaut, muss gepflegt werden. Dazu gehört zunächst mal die Selbstverständlichkeit, dass das Gesetz für Alle gilt: Im April 2000 setzte sich der Bundesrat im Zusammenhang mit der Bewilligung der 5. Ausbauetappe des Flughafen Zürichs nach intensiver Lobbyarbeit der Luftfahrt, insbesondere der damaligen Swissair, über die Kriterien zur Festlegung der Lärmgrenzwerte des geltenden Rechts hinweg und legte „flughafenfreundliche“ Lärmgrenzwerte fest. Er wurde ein halbes Jahr später vom Bundesgericht zurückgepfiffen und musste wieder strengere Lärmgrenzwerte festlegen.
Zudem gelten die Grundlagen, die in einer direkten Demokratie unabdingbar sind, Ehrlichkeit und Transparenz. Differenzen müssen offen auf den Tisch gelegt werden, und es dürfen keine falschen Hoffnungen geweckt werden. Die gekröpften Nordanflüge können, so, wie sie beantragt wurden, nur mit Einwilligung Deutschlands geflogen werden. Es zahlt sich auf die Länge nicht aus, so etwas auszublenden und die unbegründete Hoffung zu erwecken, der gekröpfte Nordanflug könne demnächst eingeführt werden.
Es hat sich auch nicht ausbezahlt, statt des Staatsvertrages erfolgreiche Gerichtsverfahren in Deutschland vorzugaukeln. Dass das geschah, obwohl die effektiven Chancen bekannt waren und vor den Risiken gewarnt wurde, trug nicht zur Vertrauensbildung bei - weder im Parlament noch in der Bevölkerung.
In der direkten Demokratie finden wir die tragfähigen Lösungen nicht auf dem Olymp, sondern im direkten und ehrlichen Austausch mit den Betroffenen.
a) Interessenkollision mit Umweltanliegen: Lärm und Luftverschmutzung
Die augen- oder besser, die ohrenfälligste Interessenkollision der Luftfahrt ist diejenige mit dem Lärm. Flugzeuge machen Lärm und zwar leider auch heute noch ziemlich viel. Und anders als bei Schiene und Strasse konzentriert sich der Lärm stark auf wenige Flächen und dort entsteht dann auch besonders heftiger Widerstand.
Die Diskussion um die An- und Abflugverfahren in Zürich zeigt, dass heute ein Flughafen nicht gegen die Interessen der Anrainer betrieben werden kann. Die Unsicherheit über die wahren Wachstumspläne des Flughafens Zürich war der Nährboden für die Plafonierungsinitiative. Eine Pistenverlängerung dürfte in einer Volksabstimmung kaum Chancen haben, solange sich die vom Lärm Betroffenen nicht genau wissen, woran sie sind. Beim Entscheid über den zukünftigen Betrieb eines Flughafens darf es nicht nur um die wirtschaftlichen Interessen gehen. Akzeptanz und Verträglichkeit spielen eine ebenso grosse Rolle. Für den Flughafen Zürich versuchen wir das im Rahmen des SIL-Prozesses. Es gilt, dabei den Grundsatz der Nachhaltigkeit bei der Flughafenentwicklung umzusetzen.
b) Soziale Interessenkollisionen
Sodann wird die Luftfahrt auch von anderen gesellschaftlichen Kräften eingegrenzt, nicht nur von bahnverliebten Verkehrsministern.
Die Fluggesellschaften beklagen sich über die zu hohen Flugsicherungsgebühren. Ein Grund dafür ist die Quersubventionierung der Regionalflugplätze und der Leichtaviatik durch den kommerziellen Luftverkehr. Verursachergerechte Gebühren für alle würden die Regionalflugplätze in ihrer Existenz bedrohen. Und deshalb wird es im Parlament keine Mehrheit für verursachergerechte Gebühren geben, allen Forderungen nach guten Rahmenbedingungen für die kommerzielle Luftfahrt zum Trotz. Wir prüfen zurzeit, ob ein Teil der Erträge aus der Kerosenbesteuerung des Binnenluftverkehrs gebraucht werden könnte, um unter anderem diese
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Quersubventionierung zu ersetzen. Um der Ehrlichkeit willen muss ich hier warnen: Weil diese Gelder dann nicht mehr in die Strassenkasse fliessen, ist mit Widerstand auch gegen diese Lösung zu rechnen.
Die Landesflughäfen sind nationale Schlüsselinfrastrukturen. Sie haben für die Anbindung der Schweiz ans Ausland eine übergeordnete Bedeutung. Gesteuert werden sie aber massgeblich von den Standortkantonen.
Das führt im Zusammenhang mit der Plafonierungsinitiative zu politischen Schwierigkeiten: Einerseits ist der Flughafen Zürich ein nationaler Flughafen. Im Interesse der schweizerischen Wirtschaft kann es nicht liegen, die Bewegungen oder Öffnungszeiten zu begrenzen. Andererseits entscheidet der Kanton Zürich, d.h. seine Stimmbürgerinnen und Stimmbürger. Würde sich der Bund jetzt in die Abstimmungsdiskussion einmischen, so wäre das mit Sicherheit kontraproduktiv.
Es liegt nun am zürcherischen Parlament, zur Initiative und zum Gegenentwurf der Regierung Stellung zu nehmen. Anschliessend formuliert das Stimmvolk seinen Willen. Würde die Initiative angenommen, hätte die Zürcher Regierung den Auftrag, sich beim Bund für eine Bewegungsbegrenzung einzusetzen. Erst nach der Abstimmung und erst nach deren Analyse würde der Regierungsrat entscheiden, wie er den Auftrag umsetzen will. Dann erst zeigt sich, ob Landesinteressen gefährdet sind. Wäre das der Fall, müsste der Bund Lösungen suchen, die konform mit den Bundesinteressen sind.
Der Konflikt mit Deutschland ist - nicht nur, aber auch - entstanden, weil einerseits nationale Interessen, andererseits kantonale Zuständigkeiten vorlagen Wir müssen deshalb den Bundeseinfluss bei den Landesflughäfen verstärken und dafür neue Formen der Trägerschaft prüfen.
Auch die Aufsichtsbehörde ist von politischen Interessen betroffen: Das Parlament hat dem BAZL bei der Reorganisation der Sicherheitsaufsicht zwar die Vorgabe gemacht, seine Einnahmen durch vermehrte Gebühren zu erhöhen. Die Verwaltung soll ihre Leistungen möglichst verursachergerecht finanzieren. Doch als eben diese Vorlage ausgearbeitet war, wollte das Parlament darauf gar nicht eingetreten.
2. 3. Überwindung der Landesgrenzen?
Die Landesgrenzen sind immer noch die schwierigsten Hindernisse für die Entwicklung des Flugverkehrs:
z Es gilt nach wie vor das Territorialitätsprinzip. In Europa entsteht ein einheitlicher Luftraum für die
Flugsicherung - aber seine Blöcke orientieren sich mehrheitlich nach wie vor an den nationalen Grenzen.
z Es gibt heute noch Länder, die Sonderabgaben kassieren für den Überflug bestimmter Territorien. z Noch immer haben viele Länder eine einheimische Luftfahrtgesellschaft, die ganz oder mindestens teilweise
in staatlichem Besitz ist und vom Staat direkt oder indirekt unterstützt wird. An der Swissair war der Bund nur mit drei Prozent der Aktien beteiligt, dennoch hat er die Umwandlung in die Swiss zum grossen Teil finanziert.
z Landerechte müssen zwischen den Staaten in bilateralen Luftverkehrsabkommen ausgehandelt werden.
Immer noch enthalten viele Abkommen eine protektionistische Klausel, wonach nur eine einheimisch kontrollierte Fluggesellschaft Landerechte erhält.
z Die Vergabe von Landezeiten (slots) an den Flughäfen folgt einem europaweiten System, das die etablierten
Fluggesellschaften bevorzugt, anstatt sich nach dem freien Spiel von Nachfrage und Angebot zu richten.
Und doch tun wir oft so, als gäbe es die Landesgrenzen gar nicht. Es wurden die Flughäfen dort gebaut, wo es topographisch sinnvoll und für die Wirtschaft am praktischsten war. Sie wurden so organisiert, dass sie die meiste Kapazität erreichen und gleichzeitig unsere Bevölkerung am wenigsten belärmen. Dass die grossen Flughäfen alle an den Landesgrenzen liegen, ist also reiner Zufall, führt aber zu den uns bestens bekannten grossen Konflikten.
z Vorarlberg leistet heftigen Widerstand gegen die Konzessionierung des Flughafens Altenrhein. Das obwohl
der einzige Linienflug nach Wien geht, von der AUA bedient und vor allem von österreichischen Passagieren benützt wird.
z Baden-Württemberg kämpft seit Jahren mit Vehemenz gegen die Ausrichtung der Anflüge in Zürich auf den
Norden. Der Flughafen Zürich wird zwar nicht vorwiegend von deutschen Reisenden benutzt, aber es sind doch Einige, wenn man die Autonummernschilder im Flughafenparking betrachtet. Die Nähe zum Flughafen Zürich wird auch gerne als Standortvorteil gepriesen.
Letztlich können Landesgrenzen nicht anders überwunden werden als innerstaatliche Konflikte auch, nämlich mit
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einer rationalen Austarierung der Zielkonflikte, wie es die Nachhaltigkeit verlangt. Also: Wie viele Menschen sind von wie viel Lärm betroffen und wie viele Menschen können von den wirtschaftlichen Vorteilen eines Flughafens profitieren?
Wir müssen also beim Betrieb der Flughäfen nach der sachlich richtigen Lösung suchen, wie wenn es keine Grenze gäbe. Und ich glaube daran, dass unter aufgeklärten, befreundeten Nachbarn solche Lösungen im Dialog zu finden sind. Das geht aber nur, wenn wir anerkennen, dass es eine Grenze gibt und dass wir über die Nachbarn nicht einfach verfügen können. Wir müssen unsere Nachbarn einbeziehen und ihre Anliegen ernst nehmen. Sie müssen mitreden und partizipieren können, wie wenn es keine Grenze gäbe - an den Entscheidprozessen ebenso wie an den wirtschaftlichen Vorteilen. Und wenn unsere Nachbarn Infrastrukturen planen und bauen, die uns stören könnten, müssen auch wir bereit sein, uns an der Suche nach der besten Lösung zu beteiligen, wie wenn es keine Grenze gäbe. Wohin es führt, wenn man das nicht tut, zeigt die Situation beim Flughafen Zürich. Wir alle wissen, wie es dazu gekommen ist. Man hat die Anliegen der deutschen Nachbarn während Jahren nicht ernst genommen. Und auch während der Debatte um den Staatsvertrag stellten sich Juristinnen und Parlamentarier auf den Standpunkt, man könne nach eigenem Belieben agieren. Sie übersahen, dass es eine Landesgrenze gibt, die man nicht einfach ignorieren kann. Deutschland hat darauf hin auf seine eigene Souveränität gepocht und einseitige Einschränkungen verfügt. Sie begrenzen den Flughafen heute in zweifacher Hinsicht: im Konkurrenzkampf mit den Flughäfen Frankfurt und München und in seinen Entwicklungsmöglichkeiten für die Zukunft. Mittlerweile dürfte in der Schweiz allen klar sein, dass wir nur im Gespräch und durch Verhandlungen zu einer besseren Lösung kommen. Das heisst aber, dass wir auch tatsächlich verhandlungsbereit und ergebnisoffen sein müssen und nicht einfach an Maximalforderungen festhalten können. Und das heisst auch, dass wir uns innerhalb der Schweiz auf eine gemeinsame Position einigen müssen und uns nicht auseinanderdividieren lassen dürfen. Wir erwarten von unseren deutschen Nachbarn, dass sie Gesprächsbereitschaft zeigen. Die an sich guten und engen Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland werden durch das Flughafenproblem massiv belastet. Die deutsche Seite läuft Gefahr, den gleichen Fehler zu begehen, den die Zürcher in der Vergangenheit begangen haben. Wir haben ein Problem mit den Beschränkungen im süddeutschen Luftraum und ich erwarte, dass die deutschen Nachbarn unsere Anliegen endlich ernst nehmen und dass wir im konstruktiven Gespräch zu besseren Lösungen kommen. Schliesslich sind die Wahlen in Berlin und Stuttgart vorbei. Es ist nun endlich an der Zeit, dass sich die neue deutsche Regierung an die Vereinbarung mit meinem früheren deutschen Kollegen Stolpe gebunden fühlt. Ein anderes Verhalten widerspräche einer guten Nachbarschaft und würde von vielen Schweizerinnen und Schweizern nicht länger verstanden.
3. Die Grenzen der Freiheit
Unter den Wolken ist die Freiheit nicht grenzenlos; sie war es nie und sie wird es auch nie sein. Unter den Wolken geht es immer darum, den Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen zu finden und zwar sowohl innerhalb einesLandes als auch über Landesgrenzen hinweg. Das ist die Aufgabe der Politik. Dies ist beim Luftverkehr nicht anders als bei den anderen Infrastrukturen in unserem Land. Die Grundsätze der bundesrätlichen Nachhaltigkeitsstrategie und der luftfahrtpolitische Bericht bilden dabei die Richtschnur. Oberstes Ziel der schweizerischen Luftfahrtpolitik ist und bleibt, die optimale Anbindung unseres Landes sicherzustellen. Dazu braucht es eine wettbewerbsfähige und sichere Schweizer Zivilluftfahrt. Der Staat sorgt für die Rahmenbedingungen, also für Verkehrsrechte und Infrastrukturen.
Der Traum des Fliegens hat den Menschen eine neue Freiheit ermöglicht, doch sie wird beschränkt durch andere Menschen. Es gilt, den weit anspruchsvolleren Traum zu verwirklichen, nämlich dass sich die Menschen gegenseitig Freiheit gewähren. Meine Freiheit hört da auf, wo die des anderen beginnt. Damit die Menschen sich in jeder Beziehung frei entfalten, also auch wirtschaftlich verwirklichen können, kommen sie nicht darum herum, mit anderen Menschen über die Grenzen ihrer jeweiligen Freiheit zu verhandeln. Das haben wir für das bilaterale Luftverkehrsabkommen getan und wir haben dafür sogar die Weinmarke „Champagne“ geopfert, einen Wein aus der Waadt, der in den Augen der Franzosen bis anhin offenbar regelmässig mit echtem Champagner verwechselt wurde. Für die neun Freiheiten der Luftfahrt ist das Verhältnis zu Europa absolut entscheidend.
Ich nannte zu Beginn Zeus, dem sich die Menschen mit all ihren Prothesen wie Viagra, Offroadern, pitbulls und Flugzeugen zu nähern versuchen. Zeus heisst eigentlich „lichter Himmel“ und auch er hatte seine Probleme mit den Freiheiten, die sich Europa nahm. Er wollte ihr nicht gerade beitreten, aber doch immerhin beiwohnen. Dazu
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verwandelte er sich in einen Stier. Economie suisse will Europa ebenfalls nicht beitreten. Aber sich in einen Stier verwandeln? Das kommt nicht immer gut. Das zeigte uns die Swissair. Sie wurde tatsächlich stier und das half gar niemandem…
Wir müssen ganz einfach vom Olymp herunter steigen und uns mit den Menschen befreunden, mit den Betroffenen, mit den Benutzern und mit den Bürgern. Mit ihnen finden wir in der direkten Demokratie ganz gewiss eine Lösung.
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